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本雅明《暴力批判》德文本,Zur Kritik der Gewalt

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本雅明《暴力批判》德文本,Zur Kritik der Gewalt Zur Kritik der Gewalt Die Aufgabe einer Kritik der Gewalt läßt sich als die Darstellung ihres Verhältnisses zu Recht und Gerech- tigkeit umschreiben. Denn zur Gewalt im prägnanten Sinne des Wortes wird eine wie immer wirksame Ur- sache erst dann, wenn sie ...

本雅明《暴力批判》德文本,Zur Kritik der Gewalt
Zur Kritik der Gewalt Die Aufgabe einer Kritik der Gewalt läßt sich als die Darstellung ihres Verhältnisses zu Recht und Gerech- tigkeit umschreiben. Denn zur Gewalt im prägnanten Sinne des Wortes wird eine wie immer wirksame Ur- sache erst dann, wenn sie in sittliche Verhältnisse eingreift. Die Sphäre dieser Verhältnisse wird durch die Begriffe Recht und Gerechtigkeit bezeichnet. Was zunächst den ersten von ihnen angeht, so ist klar, daß das elementarste Grundverhältnis einer jeden Rechts- ordnung dasjenige von Zweck und Mittel ist. Ferner, daß Gewalt zunächst nur im Bereich der Mittel, nicht der Zwecke aufgesucht werden kann. Mit diesen Fest- stellungen ist für die Kritik der Gewalt mehr, und freilich auch anderes, als es vielleicht den Anschein hat, gegeben. Ist nämlich Gewalt Mittel, so könnte ein Maßstab für ihre Kritik ohne weiteres gegeben erscheinen. Er drängt sich in der Frage auf, ob Gewalt jeweils in bestimmten Fällen Mittel zu gerechten oder ungerechten Zwecken sei. Ihre Kritik wäre demnach in einem System gerechter Zwecke implizit gegeben. Dem ist aber nicht so. Denn was ein solches System, angenommen es sei gegen alle Zweifel sichergestellt, enthielte, ist nicht ein Kriterium der Gewalt selbst als eines Prinzips, sondern eines für die Fälle ihrer Anwendung. Offen bliebe immer noch die Frage, ob Gewalt überhaupt, als Prinzip, selbst als Mittel zu gerechten Zwecken sittlich sei. Diese Frage bedarf zu ihrer Entscheidung denn doch eines näheren Krite- riums, einer Unterscheidung in der Sphäre der Mit- tel selbst, ohne Ansehung der Zwecke, denen sie dienen. Die Ausschaltung dieser genaueren kritischen Frage- stellung charakterisiert eine große Richtung in der Rechtsphilosophie vielleicht als ihr hervorstechendstes Merkmal: das Naturrecht. Es sieht in der Anwendung gewaltsamer Mittel zu gerechten Zwecken so wenig ein Problem, wie der Mensch eines im »Recht«, seinen Körper auf das erstrebte Ziel hinzubewegen, findet. Nach seiner Anschauung (die dem Terrorismus in der Französischen Revolution zur ideologischen Grund- lage diente) ist Gewalt ein Naturprodukt, gleichsam ein Rohstoff, dessen Verwendung keiner Problematik unterliegt, es sei denn, daß man die Gewalt zu un- gerechten Zwecken mißbrauche. Wenn nach der Staats- theorie des Naturrechts die Personen aller ihrer Ge- walt zugunsten des Staates sich begeben, so geschieht das unter der Voraussetzung (die beispielsweise Spi- noza im theologisch-politischen Traktat ausdrücklich feststellt), daß der einzelne an und für sich und vor Abschluß eines solchen vernunftgemäßen Vertrages jede beliebige Gewalt, die er de facto innehabe, auch de jure ausübe. Vielleicht sind diese Anschauungen noch spät durch Darwins Biologie belebt worden, die in durchaus dogmatischer Weise neben der natürlichen Zuchtwahl nur die Gewalt als ursprüngliches und allen vitalen Zwecken der Natur allein angemessenes Mittel ansieht. Die darwinistische Popularphiloso- phie hat oft gezeigt, wie klein von diesem natur- 3° geschichtlichen Dogma der Schritt zu dem noch grö- beren rechtsphilosophischen ist, daß jene Gewalt, welche fast allein natürlichen Zwecken angemessen, darum auch schon rechtmäßig sei. Dieser naturrechtlichen These von der Gewalt als natürlicher Gegebenheit tritt die positiv-rechtliche von der Gewalt als historischer Gewordenheit diametral entgegen. Kann das Naturrecht jedes bestehende Recht nur beurteilen in der Kritik seiner Zwecke, so das positive jedes werdende nur in der Kritik seiner Mit- tel. Ist Gerechtigkeit das Kriterium der Zwecke, so Rechtmäßigkeit das der Mittel. Unbeschadet dieses Gegensatzes aber begegnen beide Schulen sich in dem gemeinsamen Grunddogma: Gerechte Zwecke können durch berechtigte Mittel erreicht, berechtigte Mittel an gerechte Zwecke gewendet werden. Das Naturrecht strebt, durch die Gerechtigke~t der Zwecke die Mittel zu »rechtfertigen«, das positive Recht durch die Be- rechtigung der Mittel die Gerechtigkeit der Zwecke zu »garantieren«. Die Antinomie würde sich als un- lösbar erweisen, wenn die gemeinsame dogmatische Voraussetzung falsch ist, wenn berechtigte Mittel einerseits und gerechte Zwecke andrerseits in unver- einbarem Widerstreit liegen. Die Einsicht hierein könnte sich aber keinesfalls ergeben, bevor der Zirkel verlassen und voneinander unabhängige Kriterien für gerechte Zwecke sowohl als für berechtigte Mittel aufgestellt wären. Das Bereich der Zwecke, und damit auch die Frage nach einem Kriterium der Gerechtigkeit, schaltet für diese Untersuchung zunächst aus. Dagegen fällt in 31 ihr Zentrum die Frage nach der Berechtigung gewis- ser Mittel, welche die Gewalt ausmachen. Natur- rechtliche Prinzipien können sie nicht entscheiden, sondern nur in eine bodenlose Kasuistik führen. Denn wenn das positive Recht blind ist für die Unbedingt- heit der Zwecke, so' das Naturrecht für die Bedingt- heit der Mittel. Dagegen ist die positive Rechtstheorie als hypothetische Grundlage im Ausgangspunkt der Untersuchung annehmbar, weil sie eine grundsätz- liche Unterscheidung hinsichtlich der Arten der Ge- walt vornimmt, unabhängig von den Fällen ihrer Anwendung. Diese findet zwischen der historisch an- erkannten, der sogenannten sanktionierten, und der nicht sanktionierten Gewalt statt. Wenn die folgen- den überlegungen von ihr ausgehen, so kann das natürlich nicht heißen, daß gegebene Gewalten danach klassifiziert werden, ob sie sanktioniert sind oder nicht. Denn in einer Kritik der Gewalt kann deren positiv- rechtlicher Maßstab nicht seine Anwendung, sondern vielmehr nur seine Beurteilung erfahren. Es handelt sich um die Frage, was denn für das Wesen der Ge- walt daraus folge, daß ein solcher Maßstab oder Unterschied an ihr überhaupt möglich sei, oder mit anderen Worten um den Sinn jener Unterscheidung. Denn daß jene positiv-rechtliche Unterscheidung sinnvoll, in sich vollkommen gegründet und durch keine andere ersetzbar sei, wird sich bald genug zei- gen, zugleich aber damit ein Licht auf diejenige Sphäre fallen, in der diese Unterscheidung allein stattfinden kann. Mit einem Wort: kann der Maßstab, den das positive Recht für die Rechtmäßigkeit der 32 Gewalt aufstellt, nur nach seinem Sinn analysiert, so muß die SphäreseinerAnwendung nach ihremWertkri- tisiert werden. Für diese Kritik gilt es dann den Stand- punkt außerhalb der positiven Rechtsphilosophie, aber auch außerhalb des Naturrechts zu finden. Inwiefern allein die geschichtsphilosophische Rechtsbetrachtung ihn abgeben kann, wird sich herausstellen. Der Sinn der Unterscheidung der Gewalt in recht- mäßige und unrechtmäßige liegt nicht ohne weiteres auf der Hand. Ganz entschieden ist das naturrecht- liche Mißverständnis abzuwehren, als bestehe er in der Unterscheidung von Gewalt zu gerechten und ungerechten Zwecken. Vielmehr wurde schon ange- deutet, daß das positive Recht von jeder Gewalt einen Ausweis über ihren historischen Ursprung verlangt, welcher unter gewissen Bedingungen ihre Rechtmäßig- keit, ihre Sanktion erhält. Da die Anerkennung von Rechtsgewalten sich am greifbarsten in der grund- sätzlich widerstandslosen Beugung unter ihre Zwecke bekundet, so ist als hypothetischer Einteilungsgrund der Gewalten das Bestehen oder der Mangel einer allgemeinen historischen Anerkennung ihrer Zwecke zugrunde zu legen. Zwecke, welche dieser Anerken- nung entbehren, mögen Naturzwecke, die anderen Rechtszwecke genannt werden. Und zwar ist die ver- schiedenartige Funktion der Gewalt, je nachdem sie Natur- oder Rechtszwecken dient, am anschaulichsten unter Zugrundelegung irgendwelcher bestimmter Rechtsverhältnisse zu entwickeln. Der Einfachheit halber mögen die folgenden Ausführungen auf die gegenwärtigen europäischen sich beziehen. 33 Für diese Rechtsverhältnisse ist, was die einzelne Per- son als Rechtssubjekt betriffi, die Tendenz bezeich- nend, Naturzwecke dieser einzelnen Personen in allen den Fällen nicht zuzulassen, in denen solche Zwecke gegebenenfalls zweckmäßigerweise gewalt- sam erstrebt werden"könnten. Das heißt: diese Rechts- ordnung drängt darauf, in allen Gebieten, in denen Zwecke von Einzelpersonen zweckmäßigerweise mit Gewalt erstrebt werden könnten, Rechtszwecke auf- zurichten, welche eben nur die Rechtsgewalt auf diese Weise zu verwirklichen vermag. Ja, sie drängt dar- auf, auch Gebiete, für welche Naturzwecke prinzi- piell in weiten Grenzen freigegeben werden, wie das der Erziehung, durch Rechtszwecke einzuschränken, sobald jene Naturzwecke mit einem übergroßen Maß von Gewalttätigkeit erstrebt werden, wie sie dies in den Gesetzen über die Grenzen der erzieherischen Strafbefugnis tut. Es kann als eine allgemeine Ma- xime gegenwärtiger europäischer Gesetzgebung for- muliert werden: alle Naturzwecke einzelner Personen müssen mit Rechtszwecken in Kollision geraten, wenn sie mit mehr oder minder großer Gewalt verfolgt werden. (Der Widerspruch, in welchem das Recht auf Notwehr hierzu steht, dürfte im Laufe der folgenden Betrachtungen von selbst seine Erklärung finden.) Aus dieser Maxime folgt, daß das Recht die Gewalt in den Händen der einzelnen Person als eine Gefahr ansieht, die Rechtsordnung zu untergraben. Als eine Gefahr, die Rechtszwecke und die Rechtsexekutive zu vereiteln? Doch nicht; denn dann würde nicht Ge- walt schlechthin, sondern nur die auf rechtswidrige 34 Zwecke gewendete verurteilt werden. Man wird sagen, daß ein System der Rechtszwecke sich nicht halten könne, wenn irgendwo Naturzwecke noch gewaltsam erstrebt werden dürfen. Das ist aber zu- nächst ein bloßes Dogma. Dagegen wird man viel- leicht die überraschende Möglichkeit in Betracht zu ziehen haben, daß das Interesse des Rechts an der Monopolisierung der Gewalt gegenüber der Einzel- person sich nicht durch die Absicht erkläre, die Rechts- zwecke, sondern vielmehr durch die, das Recht selbst zu wahren. Daß die Gewalt, wo sie nicht in den Hän- den des jeweiligen Rechtes liegt, ihm Gefahr droht, nicht durch die Zwecke, welche sie erstreben mag, sondern durch ihr bloßes Dasein außerhalb des Rechts. Drastischer mag die gleiche Vermutung durch die Be- sinnung darauf nahegelegt werden, wie oft schon die Gestalt des »großen« Verbrechers, mögen auch seine Zwecke abstoßend gewesen sein) die heimliche Be- wunderung des Volkes erregt hat. Das kann nicht um seiner Tat, sondern nur um der Gewalt willen, von der sie zeugt, möglich sein. In diesem Fall tritt also wirklich die Gewalt, welche das heutige Recht in allen Bezirken des Handeins dem einzelnen zu nehmen sucht, bedrohlich auf und erregt noch im Unterliegen die Sympathie der Menge gegen das Recht. Durch welche Funktion die Gewalt mit Grund dem Recht so bedrohlich scheinen, so sehr von ihm gefürchtet werden kann, muß sich gerade da zeigen, wo selbst nach der gegenwärtigen Rechtsordnung ihre Entfal- tung noch zulässig ist. Dies ist zunächst im Klassenkampf in Gestalt des 35 garantierten Streikrechts der Arbeiter der Fall. Die organisierte Arbeiterschaft ist neben den Staaten heute wohl das einzige Rechtssubjekt, dem ein Recht auf Gewalt zusteht. Gegen diese Anschauung liegt freilich der Einwand bereit, daß die Unterlassung von Handlungen, ein NIcht-Handeln, wie es der Streik letzten Endes doch ist, überhaupt nicht als Gewalt bezeichnet werden dürfe. Solche überlegung hat auch wohl der Staatsgewalt die Einräumung des Streik- rechts, als sie nicht mehr zu umgehen war, erleichtert. Sie gilt aber nicht uneingeschränkt, weil nicht unbe- dingt. Zwar kann das Unterlassen einer Handlung, auch eines Dienstes, wo es einfach einem »Abbruch von Beziehungen« gleichkommt, ein völlig gewalt- loses; reines Mittel sein. Und wie nach Anschauung des Staates (oder des Rechts) im Streikrecht der Ar- beiterschaft überhaupt nicht sowohl ein Recht auf Ge- walt zugestanden ist, als eines sich derselben zu ent- ziehen, wo sie vom Arbeitgeber mittelbar ausgeübt werden sollte, so mag freilich hin und wieder ein Streikfall vorkommen, der dem entspricht und nur eine »Abkehr« oder »Entfremdung« vom Arbeit- geber bekunden soll. Das Moment der Gewalt aber tritt, und zwar als Erpressung, in eine solche Unter- lassung unbedingt dann ein, wenn sie in der prinzi- piellen Bereitschaft geschieht, die unterlassene Hand- lung unter gewissen Bedingungen, welche, sei es überhaupt nichts mit ihr zu tun haben, sei es nur etwas Außerliches an ihr modifizieren, wieder so wie vorher auszuüben. Und in diesem Sinne bildet nach der An- schauung der Arbeiterschaft, welche der des Staates entgegengesetzt ist, das Streikrecht das Recht, Gewalt zur Durchsetzung gewisser Zwecke anzuwenden. Der Gegensatz in beiden Auffassungen zeigt sich in voller Schärfe angesichts des revolutionären Generalstreiks. In ihm wird die Arbeiterschaft jedesmal sich auf ihr Streikrecht berufen, der Staat aber diese Berufung einen Mißbrauch nennen, da das Streikrecht »so« nicht gemeint gewesen sei, und seine Sonderverfügun- gen erlassen. Denn es bleibt ihm unbenommen zu er- klären, daß eine gleichzeitige Ausübung des Streiks in allen Betrieben, da er nicht in jedem seinen vom Gesetzgeber vorausgesetzten besonderen Anlaß habe, widerrechtlich sei. In dieser Differenz der Interpre- tation drückt sich der sachliche Widerspruch der Rechtslage aus, nach der der Staat eine Gewalt aner- kennt, deren Zwecken er als Naturzwecken bisweilen indifferent, im Ernstfall (des revolutionären General- streiks) aber feindlich gegenübersteht. Als Gewalt nämlich ist, wiewohl dies auf den ersten Blick para- dox scheint, dennoch auch ein Verhalten, das in Aus- übung eines Rechts eingenommen wird, unter gewis- sen Bedingungen zu bezeichnen. Und zwar wird ein solches Verhalten, wo es aktiv ist, Gewalt heißen dürfen, wenn es ein ihm zustehendes Recht ausübt, um die Rechtsordnung, kraft deren es ihm verliehen ist, zu stürzen; wo es passiv ist, aber nichtsdestoweni- ger ebenso zu bezeichnen sein, wo es im Sinne der oben entwickelten überlegung Erpressung wäre. Da- her zeugt es nur von einem sachlichen Widerspruch in der Rechtslage, nicht aber von einem logischen Widerspruch im Recht, wenn es den Streikenden als 37 Gewalttätigen unter gewissen Bedingungen mit Ge- walt entgegentritt. Denn im Streik fürchtet der Staat mehr als alles andere diejenige Funktion der Gewalt, deren Ermittlung diese Untersuchung als einzig siche- res Fundament ihrer Kritik sich vorsetzt. Wäre näm- lich Gewalt, was sie zunächst scheint, das bloße Mittel, eines Beliebigen, das gerade erstrebt wird, unmittelbar sich zu versichern, so könnte sie nur als raubende Gewalt ihren Zweck erfüllen. Sie wäre völ- lig untauglich, auf relativ beständige Art Verhältnisse zu begründen oder zu modifizieren. Der Streik aber zeigt, daß sie dies vermag, daß sie imstande ist, Rechtsverhältnisse zu begründen und zu modifizie- ren, wie sehr das Gerechtigkeitsgefühl sich auch da- durch beleidigt finden möge. Der Einwand liegt nahe, daß eine solche Funktion der Gewalt zufällig und vereinzelt sei. Die Betrachtung der kriegerischen Ge- walt wird ihn zurückweisen. Die Möglichkeit eines Kriegsrechts be,ruht auf genau denselben sachlichen Widersprüchen in der Rechts- lage wie die eines Streikrechts, nämlich darauf, daß Rechtssubjekte Gewalten sanktionieren, deren Zwecke für die Sanktionierenden Naturzwecke bleiben und daher mit ihren eigenen Rechts- oder Naturzwecken im Ernstfall in Konflikt geraten können. Die Kriegs- gewalt richtet allerdings zunächst ganz unmittelbar und als raubende Gewalt sich auf ihre Zwecke. Aber es ist doch höchst auffallend, daß selbst - oder viel- mehr gerade - in primitiven Verhältnissen, die von staatsrechtlichen Beziehungen sonst kaum Anfänge kennen, und selbst in solchen Fällen, wo der Sieger in einen nunmehr unangreifbaren Besitz sich gesetzt hat, ein Friede zeremoniell durchaus erforderlich ist. Ja, das Wort »Friede« bezeichnet in seiner Bedeu- tung, in welcher es Korrelat zur Bedeutung »Krieg« ist (es gibt nämlich noch eine ganz andere, ebenfalls unmetaphorische und politische, diejenige, in welcher Kant vom »Ewigen Frieden« spricht), geradezu eine solche apriori und von allen übrigen Rechtsverhält- nissen unabhängige notwendige Sanktionierung eines jeden Sieges. Diese besteht eben darin, daß die neuen Verhältnisse als neues »Recht« anerkannt werden, ganz unabhängig davon, ob sie de facto irgendeiner Garantie für ihren Fortbestand bedürfen oder nicht. Es wohnt also, wenn nach der kriegerischen Gewalt als einer ursprünglichen und urbildlichen für jede Gewalt zu Naturzwecken geschlossen werden darf, aller derartigen Gewalt ein rechtsetzender Charakter bei. Auf die Tragweite dieser Erkenntnis wird spä- ter zurückzukommen sein. Sie erklärt die genannte Tendenz des modernen Rechts, jede auch nur auf Naturzwecke gerichtete Gewalt zumindest der Ein- zelperson als Rechtssubjekt zu nehmen. Im großen Verbrecher tritt ihm diese Gewalt entgegen mit der Drohung: neues Recht zu setzen, vor der das Volk trotz ihrer Ohnmacht in bedeutenden Fällen noch heute wie in Urzeiten erschauert. Der Staat aber fürchtet diese Gewalt schlechterdings als rechtsetzend, wie er sie als rechtsetzend anerkennen muß, wo aus- wärtige Mächte ihn dazu zwingen, das Recht zur Kriegführung, Klassen, das Recht zum Streik ihnen zuzugestehen. 39 Wenn im letzten Kriege die Kritik der Militärgewalt der Ausgangspunkt für eine leidenschaftliche Kritik der Gewalt im allgemeinen geworden ist, welche wenigstens das eine lehrt, daß sie naiv nicht mehr ausgeübt noch gedul~et wird, so ist sie doch nicht nur als rechtsetzende Gegenstand der Kritik gewesen, sondern sie ist vernichtender vielleicht noch in einer anderen Funktion beurteilt worden. Eine Doppelheit in der Funktion der Gewalt ist nämlich für den Mili- tarismus, der erst durch die allgemeine Wehrpflicht sich bilden konnte, charakteristisch. Militarismus ist der Zwang zur allgemeinen Anwendung von Gewalt als Mittel zu Zwecken des Staates. Dieser Zwang zur Gewaltanwendung ist neuerdings mit gleichem oder größerem Nachdruck beurteilt worden als die Gewalt- anwendung selbst. In ihm zeigt sich die Gewalt in einer ganz anderen Funktion als in ihrer einfachen Anwendung zu Naturzwecken. Er besteht in einer Anwendung von Gewalt als Mittel zu Rechtszwek- ken. Denn die Unterordnung der Bürger unter die Gesetze - in gedachtem Falle unter das Gesetz der allgemeinen Wehrpflicht - ist ein Rechtszweck. Wird jene erste Funktion der Gewalt die rechtsetzende, so darf diese zweite die rechtserhaltende genannt wer- den. Weil nun die Wehrpflicht ein durch nichts prin- zipiell unterschiedener Anwendungsfall der rechts- erhaltenden Gewalt ist, darum ist ihre wirklich durchschlagende Kritik bei weitem nicht so leicht, wie die Deklamationen der Pazifisten und Aktivi- sten sie sich machen. Sie fällt vielmehr mit der Kritik aller Rechtsgewalt, das heißt mit der Kritik der lega- len oder exekutiven Gewalt, zusammen und ist bei einem minderen Programm gar nicht zu leisten. Sie ist auch, will man nicht einen geradezu kindischen Anarchismus proklamieren, selbstverständlich nicht damit geliefert, daß man keinerlei Zwang der Person gegenüber anerkennt und erklärt »Erlaubt ist was gefällt«. Eine solche Maxime schaltet nur die Reflek- tion auf die sittlich-historische Sphäre und damit auf jeden Sinn von Handlung, weiterhin aber auf jeden Sinn der Wirklichkeit überhaupt aus, der nicht zu konstituieren ist, wenn »Handlung« aus ihrem Be- reich herausgebrochen ist. Wichtiger dürfte sein, daß auch die so häufig versuchte Berufung auf den kate- gorischen Imperativ mit seinem wohl unbezweifel- baren Minimalprogramm: Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, nie- mals bloß als Mittel brauchest, zu dieser Kritik an sich nicht ausreicht. I Denn das positive Recht wird, wo es seiner Wurzeln sich bewußt ist, durchaus bean- spruchen, das Interesse der Menschheit in der Person jedes einzelnen anzuerkennen und zu fördern. Es erblickt dieses Interesse in der Darstellung und Erhal- tung einer schicksalhaften Ordnung. So wenig die
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